Fortis Marathon Rotterdam

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Datum

Bericht vom

Fortis Marathon Rotterdam
2010
, Claus Pfaffenberger

Nachdem mein letzter Marathon doch schon etwas länger zurücklag (Oktober 2008 in München), kam es mir eigentlich ganz recht, als unsere niederländische Gesellschaft E.ON Benelux im Oktober 2009 in unserem Firmen-Intranet dazu aufrief, mit vielen anderen E.ON-Läufern am Rotterdam Marathon 2010 teilzunehmen, der bereits zum 30. Mal stattfindet. Also hab ich mich einfach angemeldet, auch wenn ich mir gleichzeitig gedacht hab, dass der 11. April schon ein relativ früher Termin im Wettkampfjahr für einen Marathon ist.

Andererseits hatte sich bei uns Nachwuchs angekündigt – erwarteter Entbindungstermin 20. März 2010. Und da war es vielleicht sogar von Vorteil, relativ früh im Jahr einen Marathon zu planen und so die wesentliche Vorbereitung vor die Geburt zu legen. „Wer weiß, wie sich das mit dem Training gestaltet, wenn die Kleine erst mal da ist ?“

Oktober, November, Dezember – die Woche vergingen ohne dass ich den richtigen Einstieg in die Vorbereitung fand. Die Zeit und Lust reichte meistens nur für einmal Laufen pro Woche und auch mein Gewicht stieg bis Weihnachten kontinuierlich an. Man sagt ja, Männer werden mit ihren Frauen schwanger.

Über Weihnachten hab ich mich dann aber endlich mal hingesetzt und mir einen Trainingsplan geschmiedet. Und da es eigentlich schon immer ein Traum von mir war, mal einen Marathon unter 3 Stunden zu laufen, war auch mein Trainingsplan so ausgerichtet. Ich wusste natürlich, dass das sehr hart und zeitintensiv werden würde, und erinnerte mich dabei auch an die Vorbereitung auf meinen bisher besten Marathon im Mai 2008 in Regensburg mit einer Zeit von 3:07:12. Andererseits hatte bzw. habe ich aber auch immer die eine einfache und bescheidene Erfolgsformel im Kopf: „Du musst Dir ein Ziel setzen und dann musst Du einfach anfangen.“

Mein Trainingsplan bestand im wesentlichen - wie früher auch schon - jede Woche aus einem Intervall-Training, einem Tempolauf und einem langen Lauf. Das ganze wurde dann noch mit mittellangen GA2-Läufen aufgefüllt, sodass ich auf ca. 4 bis 6 Laufeinheiten pro Woche in ca. 10 Wochen zwischen Januar und März 2010 kam. Aber anders als die Male davor machte ich diesmal teilweise auch Trainingsumfänge von knapp über 100 km pro Woche und 4 sehr lange Läufe zwischen 32 und 38 km. Ich muss sagen, ich war da diesmal ziemlich konsequent, nahm mir einfach die Zeit, die ich eigentlich gar nicht hatte, und musste auch ein paar mal erst den inneren Schweinehund besiegen. Besonders gut erinnere ich mich noch an einen 3-Stunden-Lauf bei strömenden Regen, nach welchem ich meine nassen Klamotten auf die Waage legte, die dann über 4 kg anzeigte. Das war sozusagen Lauftraining mit Zusatzgewichten.

Am 17. März 2010 kam dann unsere kleine Carlotta zur Welt. Was für ein unbeschreibliches Erlebnis, was für ein Glück und was für eine Bereicherung für unser Leben.

Ich nahm mir 4 Wochen Urlaub und konnte somit einerseits noch ein bisschen weitertrainieren, andererseits aber die meiste Zeit für mein Töchterchen da sein. Und ab Ende März Stand dann eh nur noch Tapering auf dem Programm.

Am Freitag, 09. April 2010, ging es dann los. Die ganze kleine Familie ins Auto gepackt und ab zu den Schwiegereltern nach Siegen. Ohne Frau und Kind ging es dann am Samstag Morgen weiter nach Rotterdam, wo ich nach 6 Stunden Zugfahrt endlich ankam. Einchecken im Hotel, eine kleine Runde im Park mit ein paar Steigerungen und dann kam erstmals wieder E.ON ins Spiel. Wir wurden abends von unseren niederländischen Kollegen mit Shuttle-Bussen abgeholt und zum Euromast gebracht – einem 185 m hohen Aussichtsturm mit Panorama-Restaurant, in dem eine Pasta-Party stattfand. Anschließend fuhren wir noch kurz in die Innenstadt und wurden dort mit den Örtlichkeiten, d. h. vor allem mit dem Start- und Zielbereich, vertraut gemacht. Danach ging es zurück ins Hotel und ich war relativ früh im Bett.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen wurden wir um 7.30 Uhr wieder von den Shuttle-Bussen abgeholt und zum E.ON-Kraftwerk im Rotterdamer Hafengebiet gebracht, das uns als Basislager für den ganzen Tag diente. Dort konnten wir was essen und uns umziehen. Es war ein sonniger Morgen, aber es war ziemlich kühl (ca. 4°C) und windig. Da wir dann schon kurz nach 9 Uhr zum Start gebracht werden mussten, dieser aber erst um 11.00 Uhr erfolgte, waren wir froh, dass kurz vor der Abfahrt im Kraftwerk weiße Einweg-Arbeitsanzüge an uns verteilt wurden. Wie sahen darin zwar aus wie Astronauten bzw. Michelin-Männchen, aber das war uns egal. Hauptsache wir froren nicht. Erst 5 Minuten vor dem Start legten wir die Anzüge ab. Ich steh im Startblock D, was groß auf meiner Startnummer vermerkt ist – Zielzeit zwischen 3:00 und 3:30. Für die Blöcke A – C musste man einen Zeitnachweis unter 3 Stunden vorlegen.

Und dann geht’s los. Ich fühl mich gut. „Sollte es diesmal wirklich klappen mit den 3 Stunden ? Das heißt jeden Kilometer in ca. 4:16 laufen !“ Ich verdränge den Gedanken schnell wieder. „Erst mal ins Rennen finden. Nicht zu schnell angehen“ Startschuss – ca. 1 Minute bis auch ich die Startlinie überschreite – am Anfang wie immer ein bisschen Slalom laufen. Im dichten Feld kann ich die ersten 3 Kilometer-Marken nicht erkennen. Ich frage einen anderen Läufer, wie die Kilometer überhaupt markiert sind. Er antwortet mir in Englisch, dass er es auch nicht weiß, schaut aber auf seinen Garmin und meint, es müssten jetzt ziemlich genau 3 km sein. Ich schau auf meine Uhr: 12:40 – passt. Auch die 5-km-Zeit ist in Ordnung: 20:51 – Schnitt 4:10 – guter Start. Und ein kleines Zeit-Polster wollte ich mir ja durch Kilometer-Zeiten etwas unter 4:16 schon zulegen.

Ich fühl mich leicht und lauf einfach gefühlsmäßig im gleichen Tempo weiter. Die nächsten 5 km sind schon nach 20:30 vorbei (Schnitt 4:06 min/km). „Ist das jetzt doch etwas zu schnell ?“ Ich nehme direkt nach der 10-km-Marke das erste meiner 4 Gels und geh die nächsten 5 km etwas langsamer an: 20:59 (Schnitt 4:12 min/km). „Alles im Plan.“ Auch die nächsten 5 km (20:37 – Schnitt: 4:07 min/km). Es geht auf die Halbmarathon-Marke zu, die ich bei 1:27:42 passiere.

„Ich hab ein Polster von über 2 Minuten – ich muss den zweiten Halbmarathon nur noch in 1:32:18 laufen – d. h. ich hab jetzt für jeden Kilometer schon 4:22 Zeit.“ Wer kennt diese Rechenspiele nicht ? Aus leidvoller Erfahrung bei meinen ersten 7 Marathons, bei denen die zweite Hälfte immer 10 bis 15 Minuten langsamer war als die erste, weiß ich aber, dass sich das bestimmt nicht so einfach wird, wie es sich vielleicht anhört.

Ich versuch mein Tempo zu halten und es klappt: km 20 bis 25 in 20:55 (Schnitt 4:11 min/km). Die Zuschauer – insgesamt über 800.000 – sind echt klasse. Es ist immer noch kühl (maximal 10°C) und windig – meine Ärmlinge erfüllen ihren Zweck. Nach den nächsten 5 km in 21:00 (Schnitt 4:12 min/km) sind 30 km geschafft (2:04:52). „Bisher läuft es ja echt wie ein Uhrwerk.“ Ich frag mich aber ernsthaft, wann der befürchtete Einbruch kommt. Inzwischen macht sich eine Blase am linken Fußballen bemerkbar. Ich stelle mich auf eine qualvolle letzte Stunde ein. Andererseits kommen jetzt immer häufiger die Emotionen bei mir hoch: die Zuschauer, die laute Musik, die gute Stimmung. Aber vor allem denke immer wieder an mein süßes, kleines Töchterchen, dessen Foto auch mein Laufshirt ziert, und verdrücke zwischendurch so manches Tränchen.

Wieder sind 5 km vorbei – nach 20:57 – immer noch ein Schnitt von 4:11 min/km in dieser Phase des Rennens – ich kann es kaum glauben. Ein paar Minuten später passiere ich die 36-km-Marke nach ziemlich genau 2:30:00. Ich fange mal wieder an zu rechnen: „Ich hab jetzt noch 30 Minuten für gut 6 Kilometer – das sind fast 5 Minuten für jeden Kilometer – das könnte reichen.“

Ich fühle mich immer noch relativ gut – physisch und psychisch auch: Puls, Atmung, Muskeln, Magen – alles den Umständen entsprechend soweit okay. Kein Vergleich zu meinen früheren Marathons. Und diesmal auch nichts von diesen negativen Gedanken: „Ich hör jetzt einfach auf. Warum mache ich diese Sch… eigentlich ? Nie wieder !“ Diesmal ist alles anders.

Dennoch habe ich das Gefühl, dass ich etwas langsamer werde. Aber anderseits überhole ich gerade jetzt immer mal wieder einen anderen Läufer – auch welche aus den vorderen Startblöcken A bis C – das puscht mich zusätzlich. Ich kann mein Tempo nicht richtig einschätzen. Deshalb bin ich auf die nächsten Zwischenzeiten gespannt. Die 40-km-Marke nähert sich. Meine Uhr zeigt 2:47:31. Für die letzten 5 km hab ich also 21:42 gebraucht (Schnitt 4:20 min/km). Ich bin überrascht. Das ist wirklich nur ein Tick lansamer. Da kann man nicht von einem Einbruch reden.

„Nur noch 2,2 km und über 12 Minuten Zeit – das muss jetzt einfach reichen – egal was passiert“. Noch ein letzter kleiner Anstieg, eine Brückenrampe oder sowas, von denen es einige auf der Strecke gab. „Egal, das Ding lauf ich jetzt heim.“ Die Zielgerade. „Das reicht – locker.“ Ich lass mich von den jubelnden Zuschauern im Zielkanal tragen. Gänsehaut. Schon ein paar Meter vor der Ziellinie reiße ich die Arme hoch. Meine Uhr bleibt bei 2:57:04 stehen. Ich schüttele ungläubig den Kopf. Geschafft. Wahnsinn. Wie in Trance gehe ich durch den abgezäunten Zielbereich. Mir wird eine Medaille und eine Wärme-Folie umgehängt. Ich genieße diese Momente. Emotionen pur, mir schießt wieder das Wasser in die Augen … ich brauch ein paar Minuten …

Irgendwann gehe ich schließlich zum vereinbarten Sammelpunkt und lass mich vom Shuttle-Bus zurück ins Kraftwerk fahren. Dusche, Massage und Chinesisches Buffet. Gegen 18 Uhr besteige ich den Zug nach Siegen, wo ich nach 6 Stunden Fahrt gegen Mitternacht ankomme. Ich freu mich auf meine Frau und meine süße, kleine Maus und darauf, sie beide in die Arme zu schließen.

Sieger des Rotterdam Marathons 2010 wurde der Kenianer Patrick Makau, der die 42,195 Kilometer in einer neuen Weltjahresbestzeit von 2:04:47 lief und damit nur 48 Sekunden über dem Weltrekord von Haile Gebrselassie (Äthiopien) blieb. Es war die fünftschnellste Zeit der Marathon-Geschichte.

Ich selbst belegte am Ende Platz 90 von 989 Läufern in meiner Altersklasse M35 und Platz 405 unter allen 7877 Finishern. Im Feld der 178 deutschen Starter wurde ich 13. Das sind die reinen Zahlen. Für mich war es aber nach einer perfekten Vorbereitung ein perfektes Rennen an einem perfekten Tag